Corona-Massnahmen: «Die Relation zum Rest ging verloren»

Gespeichert von mark.gasser am 17. November 2020 - 14:00

Im Pandemiekonzept des BAG sind die Ärzte und Apotheker kaum erwähnt. Irgendwo steht immerhin, dass sie für 40 bis 60 Prozent der Pandemie-Patienten die primäre Anlaufstelle sind. Wir sprachen mit dem höchsten Hausarzt und Apotheker im Kanton. Beide politisieren im Kantonsrat in der CVP. Doch ihre Meinungen zu den Corona-Massnahmen, zu den neu eingeführten Schnelltests und zur Bewältigung der Corona-Krise sind ganz und gar nicht deckungsgleich. Wo könnte man sie besser zum Thema befragen als bei der jährlichen Impfaktion im Kantonsrat? 

Josef Widler, Sie organisieren mit Lorenz Schmid jährlich eine Grippe-Impfaktion im Kantonsrat. Sind Sie dennoch skeptisch gegenüber der schnellen Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffs, bei deren Zulassung durch Swissmedic übliche Verfahren via «rollender Submission» massiv verschnellert werden?

Josef Widler, Präs. der Ärztegesellschaft Kanton Zürich: Ja, sehr. Ich lasse mich sicher nicht impfen – zumindest nicht im ersten Jahr nach Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffs. Das Hauptproblem bei der Diskussion um die Impferei ist, dass man die Konzepte auf die Entwicklung eines solchen ausrichtet. Diese müssten vielmehr davon ausgehen, dass der Impfstoff nicht kommt. Ich erinnere an die Schweinegrippe von 2009, als wir Ärzte alle Tamiflu kaufen mussten – und es war für die Katz. Der Bund musste danach den Grossteil der Dosen als Sondermüll entsorgen. Die wirtschaftlichen Interessen hinter der Entwicklung eines Impfstoffs sind überdies riesig.

Lorenz Schmid, Präs. des Apothekerverbands Kanton Zürich: Ich bin da weniger kritisch als Du, denn ein Impfstoff wird nicht viel kosten. Damit wird man nicht viel Geld verdienen können. Aber so, wie die Entwicklung eines Impfstoffs unter Putin und Trump vorangetrieben wird, geht das schon zulasten der Qualität und Sicherheit.

Herr Widler, warum sind Sie kritisch gegenüber den Antigen-Schnelltests? Seit dem 2. November sind diese ja offiziell zugelassen. Auch der Präsident der Schweizer Ärzteverbindung (FMH) rät seinen Mitgliedern vorläufig davon ab.

Widler: Ich bin kritisch gegenüber der Teststrategie als solche. So werden wir das Virus nicht in den Griff bekommen und unser Gesundheitssystem überlasten mit Testen statt mit der Behandlung von Kranken. Man muss wissen: Je mehr man testet, desto mehr positive Fälle resultieren. Darunter gibt es auch falsch Positive im einstelligen Prozentbereich: Die Konsequenzen, gerade bei den strengen Quarantäneauflagen, sind nicht verantwortbar. Relevant ist die absolute Zahl. Die Kranken hingegen zu testen, ist richtig. Aber dafür sollte man den bisherigen PCR-Test verwenden.

Noch gebe es zu wenig Daten, welche die Zuverlässigkeit («Sensitivität») der Schnelltests belegten. Demgegenüber sind die bisherigen PCR-Tests offenbar sogar zu sensitiv…

Schmid: Das ist ein wichtiger Punkt. Die Testresultate bei PCR-Tests sind teilweise positiv, obwohl man von der Virenlast her die Person nicht als positiv bezeichnen und diese daher nicht in die Quarantäne schicken würde. Kurz bevor der Bundesrat auf den 2. November Schnelltests gänzlich ohne Vorwarnung zugelassen hat, hatte ich bereits von Roche welche gekauft. Die jetzt erhältlichen Schnelltests hingegen – nicht jene von Roche – weisen im Gegensatz zu den PCR-Tests eine Sensitivität auf, die bei einer sehr niedrigen Viruskonzentration von Ct40 nicht anzeigen – die also nicht zu sensitiv sind.

Angesichts steigender Hospitalisierungen: Warum war der mögliche Ausbau der Intensivbetten kaum Thema?

Widler: Das Problem war, dass sich die Menschen immer italienische Verhältnisse vorstellten. Dabei waren in Zürich während des Lockdown die Spitäler fast leer. Und heute belegen rund ein Drittel der Intensivbetten Covid-Patienten, ein Drittel andere Patienten und ein Drittel ist leer – und dies, ohne zusätzliche Betten zu mobilisieren. Was mich auch stört ist, dass man nicht vorrechnet, wie viele 100'000 Positive es in der ersten Welle gab, die man nicht erfasst hat. Diese Dunkelziffer zeigt für mich: Contact Tracing bringt nichts.

Schmid: Da gebe ich Dir recht: Das Tracing funktioniert tatsächlich nicht. Aber beim Schnelltest sind wir nicht gleicher Meinung. Wir haben pro Tag 2 bis 3 Positive im Schnelltest. Meistens sind das Jugendliche, Personen in der Familie, die mit Symptomen kommen. Wenn Asymptomatische sich dem Schnelltest unterziehen, sind sie ohnehin negativ. Aber wir dürfen keinen Testwahn entwickeln. Nur jene, die nicht wissen, worauf ihre Symptome zurückzuführen sind, sollen sich testen lassen.

Die Reproduktionszahl müsse unter 1 zu liegen kommen, gelingt diese Halbierung nicht, droht laut Gesundheitsminister Alain Berset ein erneuter Lockdown. Die Zahl ist zuletzt wieder gesunken. Aber erwartet uns jetzt jahrelang ein Jojo-Effekt bei Corona?

Schmid: Ich glaube, der Kanton Zürich hat jetzt handhabbare Massnahmen, die er nun durchziehen muss. In der Westschweiz geschieht wohl genau dieser Jojo-Effekt: Dort werden die Zahlen wieder sinken, dann wissen sie nicht mehr, wie sie aus dem Lockdown kommen… Das sollte der Bundesrat nicht zum Vorbild nehmen.

Führte die Alarmstimmung dazu, dass verunsicherte Patienten Druck auf ihre Hausärzte machen, um sie möglichst schnell einzuweisen, solange noch Betten frei sind?

Widler: Das erlauben wir nicht. Wir wenden viel Zeit auf, den Leuten beizubringen, dass sie nicht ins Spital müssen. In der Praxis beobachte ich dafür im positiven Sinne, dass sich Menschen viel früher testen lassen und zum Arzt gehen, noch bevor die Contact Tracer aktiv geworden sind. Dass die Bürger allein entscheiden, ob sie angesteckt werden oder nicht – diese Botschaft muss man den Leuten überbringen, statt immer neue Einschränkungen zu erfinden. Ich bleibe dabei: Kranke muss man testen, nur ein «Pfnüseli» hingegen nicht. Unsystematisch und erst noch gratis zu testen, bringt nichts.

Vorerst kann der Schnelltest nur in einigen wenigen Apotheken, auch Ihrer eigenen, gemacht werden. Aber befürchten Sie nun, Herr Schmid, dass Sie überlaufen werden?

Schmid: Das Problem ist, dass sich jeder gratis testen lassen kann, da man keinen Selbstbehalt eingeführt hat. Die Kosten von 57.50 Franken werden über die Krankenkasse und den Bund abgewickelt. Einzelne Jugendliche kommen herein und wedeln mit der Krankenkassenkarte, bevor sie am Abend auf eine Party gehen. Das ist falsch verstandenes Sicherheitsdenken.

Die Stimmen werden lauter, die sagen, mit der Angst werde die Bevölkerung gesteuert…

Widler: Da stimme ich zu: Mit Angst wurde anfangs das Volk geführt, und jetzt werden wir sie nicht mehr los. Angst beeinträchtigt auch das logische Denken. Und dass die Leute – und die betroffenen Geschäfte selber – heute nicht mehr an die Schutzmassnahmen glauben, verstärkt die Unsicherheit. Als in den Läden beispielsweise ein wirksames Schutzkonzept ohne Ansteckungen etabliert war, hat die Politik noch die Maskenpflicht drüber gestülpt.

Schmid: Das sehe ich anders. Wenn der Bund mit der Maskenpflicht eine Massnahme «on the top» verordnet und eine andere de facto als obsolet erklärt, muss man eben die Plexiglasscheiben entfernen. Ich trage ja auch keinen Gürtel und gleichzeitig Hosenträger. Da muss sich das Gewerbe selber an der Nase nehmen. Immerhin hat die Maskenpflicht dazu geführt, dass im öffentlichen Verkehr wieder mehr Leute unterwegs sind. So konnte ihnen die Angst genommen werden.

Widler: Aber kannst du erklären, weshalb mit der wunderbaren Massnahme trotzdem die Infektionszahlen angestiegen sind?

Schmid: Die sinken ja nun langsam wieder. Ich finde aber, die Zürcher Regierung hat das gut gemacht. Sie setzt die Vorgaben des Bundesrats um und geht nicht weiter…

Aber so positiv klingt es nicht im Gewerbe: Eben ist die Zahl der Konkurse angestiegen im Oktober. Dieser Trend würde sich bei einer dritten Welle bei gleichbleibenden Massnahmen verstärken…

Widler: Genau. Deshalb sagen wir ja, dass die ganze Beurteilung in ärztliche Hand gehört und nicht nach dem Motto «testen, testen, testen» vorgegangen werden soll. Die Epidemiologen liegen da falsch – wie überdies bei vielen Prognosen. Gestern habe ich einen Mann getestet, weil seinetwegen – basierend auf einem sehr unwahrscheinlichen Kontakt – neun Leute in die Quarantäne mussten. Da testet man dann eben, um den Schaden zu begrenzen. Und solange asymptomatisch positiv Getestete nicht im Alltag verkehren dürfen, wird das noch lange so weitergehen.

Schmid: Solche asymptomatisch Positive sind aber meistens nur mit PCR-Test positiv Getestete. Beim Schnelltest wäre die Sensitivität wie gesagt tiefer. Die Frage ist dann, ob jene, die bei weniger sensitivem Test falsch negativ getestet werden, infektiös sind. Wo ich aber einig bin mit Dir, ist die Skepsis über Testzentren. Da rattern die Resultate durch, ohne dass vorher Gespräche geführt werden.

Wie wird im betrieblichen Umfeld der Schnelltest aufgenommen? Ist er ein Vorteil?

Schmid: Viele Nachfragen kommen von Banken, die im Homeoffice sind. Und vor physischen Treffen wollen deren Mitarbeiter jeweils einen Test machen. Homeoffice ist ja nicht risikofrei! Das Risiko besteht aber auch, sich durch einen Schnelltest in falscher Sicherheit zu wähnen. Man könnte zudem auf eine «Leiche» stossen: Ein positiv Getesteter, der aber asymptomatisch und nicht kontaminös ist.

Widler: Wir in der Praxis in Altstätten haben natürlich «normale» Handwerker. Die sind nicht im Homeoffice. Aber ich würde KMU so oder so anraten: Schickt gar keinen zum Schnelltest! Danach muss unter Umständen die ganze Firma in die Quarantäne. ch würde KMU anraten: Schickt keinen zum Schnelltest! Danach muss unter Umständen die ganze Firma in die Quarantäne.

Rund ein Drittel der Ansteckungen ist aufs Familienumfeld zurückzuführen. Von der Covid Task Force kam die Anregung, eine Art «Vorquarantäne» vor der Weihnachtszeit einzulegen…

Widler: Man kann privat ganz viel tun, um das Risiko einer Ansteckung zu vermeiden. Man sollte beispielsweise eine «Covid-Familie» bilden. Diese entscheidet, wen man in den Kreis einlässt. Wenn jemand zu einer Risikogruppe gehört, haben die anderen eine höhere Verantwortung dieser Person gegenüber, man geht dann eher auf Distanz. Aber den Jungen das Leben zu verbieten, geht einfach nicht. Die Alten dürfen wir anderseits nicht gegen ihren Willen isolieren, wie das teilweise in Altersheimen geschieht.

Schmid: Aber dass die Zahlen nun – trotz Grippesaison – so stark angestiegen sind, hat schon etwas überrascht. Im Sommer hatten wir Spassgesellschaft, sassen noch im Oktober in den Restaurants. Und plötzlich «Zack»…

Widler: Plötzlich? Man hat das Tracing hochgefahren, da auch mehr getestet wurde. Ich will es ja nicht verharmlosen – aber das Gstürm ist unverhältnismässig…

Es war in den letzten Wochen viel über das überforderte, unterbezahlte Pflegepersonal zu lesen, wobei viele Ausfälle wegen Corona-Tests und Quarantäne die Situation auf den Intensivstationen verschärfen. Ist unser Gesundheitssystem kaputtgespart worden?

Widler: Sparen ist hier nicht das Thema. Das Problem beim Pflegepersonal ist, dass eine stark belastete Minderheit einer grossen, absolut unterforderten Mehrheit gegenübersteht. Daher ist es taktisch ein ganz schlechter Moment, solche Forderungen zu stellen. Die Arztpraxen in der Grundversorgung laufen schon seit Jahren am Anschlag. Aber von denen hört man nichts.

Schmid: Wenige sind sehr stark betroffen durch die extreme Belastung. Die Apotheker und Grundversorger haben momentan auch eine extrem strenge Zeit, die Spezialisten hingegen weniger.

Stört es Sie, dass in der Task Force des Bundes, aber auch im Covid-19-Sonderstab des Kantons Zürich keine Grundversorger vertreten sind?

Schmid: Gemeinsam haben Spitex, Ärztegesellschaft, und Apothekerverband Regierungsrätin Silvia Steiner gebeten, die Grundversorger, «the battle on the street» einzubeziehen. Bislang vergeblich.

Widler: Mit Ausnahme der Kantonsärztin besteht der 14-köpfige Covid-19-Sonderstab nur aus Nicht-Ärzten – Verwaltungsbereiche und der Gemeindepräsidentenverband sind etwa dabei. Daher steht der epidemiologische Aspekt zuvorderst, nicht aber der Versorgungsaspekt. Statt zu berücksichtigen, dass wir ein lernendes System haben, wird reine Mathematik angewandt. Beispielsweise wissen wir jetzt, dass nicht alle infizierten alten Leute auch erkranken. Covid ist eine Krankheit wie jede andere auch, einfach etwas ansteckender. Eine pragmatische Lösung wäre, wenn nur die Infizierten mit Symptomen sieben Tage zu Hause bleiben müssten und erst den Arzt aufsuchen würden, wenn sie schwer erkrankt sind. Dann müssten Gesunde nicht in Quarantäne. Wenn man jetzt Schnupfen als Symptom erklärt, dann fehlt plötzlich die Hälfte des Pflegepersonals!

Die Regierungen werden also von zu vielen Theoretikern und zu wenig Praktikern beraten?

Schmid: Theoretiker insofern, als sie nur für Staatshandlungen Verantwortung tragen, und nicht im Sinne der Volksgesundheit. Eine Staatshandlung wird immer an der Sicherheit bezogen auf die jeweilige Fragestellung bemessen. So wird aktuell Gesundheit in all ihren Facetten – Isolation, Depression, Einsamkeit, Angst – ausgeblendet. Das müsste auch einfliessen. Dafür haben wir nun im Fünf-Minuten-Takt Anrufe von verunsicherten Leuten, die mehr Wissen wollen.

Widler: Aktuell schreiben wir unheimlich viele Zeugnisse für Krankenkassen und Arbeitgeber wegen Quarantäne. Wer krank ist, erhält dann Taggeld. Das Misstrauensprinzip spielt hier eine zu gewichtige Rolle, und wir normalen Leistungserbringer, die sich um die Volksgesundheit kümmern müssten, sind mit Bürokratie beschäftigt.

Es scheint, dass man aktuell mit der Floskel «Bleiben Sie gesund» aktuell nur eines meint: Nicht mit dem Virus infiziert zu sein. Aber 97% der Corona-Toten hatten ja mindestens eine Vorerkrankung.

Widler: Corona zeigte uns Menschen wieder auf, dass wir sterblich sind. Dabei haben viele Todesängste seit Corona und meinen, man könne nur daran sterben. Und wer da nicht mitmacht und anderen die Angst nehmen will, wird als Verharmloser hingestellt. Die Bürger müssen merken, dass sie selber zu über 90 Prozent entscheiden, ob sie auf der Intensivstation landen oder nicht.

Sogar «Mister Corona» Daniel Koch schrieb kürzlich, dass weltweit – nicht in der Schweiz – wohl mehr Menschen an den Folgen der rigiden Lockdowns und Corona-Massnahmen sterben würden als an Corona selbst. Haben Behörden das Virus überschätzt und die Bremsen nicht mehr gefunden?

Widler: Ich glaube nicht, dass man das Virus unter- oder überschätzt. Man hat vielmehr die Relation zum Rest verloren. Dabei überschätzt man die Massnahmen teilweise und meint, mit diesen sei alles in den Griff zu bekommen. Man muss Aufwand und Ertrag gegenüberstellen und fragen: Wie vielen Leuten schadet man durch eine Massnahme und was ist der Preis, um ein Intensivbett freizuhalten? Aber auf diese Frage lässt man sich nicht ein. Bis dann die Impfung kommt – so die Hoffnung. Ich sage: Die Krankheit muss unabhängig davon betrachtet werden. Wir können diesen Zustand nicht zwei Jahre lang perpetuieren.

Schmid: Wir sind in der Schweiz – sogar im europäischen Vergleich – relativ locker unterwegs. Aber wenn rundherum Lockdowns verordnet werden, erlebt auch unsere Wirtschaft einen Lockdown. Schweden kam ja ökonomisch auch nicht besser durch die Krise.

Aber am Anfang dieses Domino-Effekts steht vor allem eine Organisation: Die WHO. Hat diese teilweise einen zu grossen, unwidersprochenen Einfluss auf Gesundheitsministerien?

Schmid: Ich glaube, die WHO und ihre Kommissionen dürfen ja gemäss ihrem Zweck durchaus etwas bei den einzelnen Staaten auslösen, wie das ja auch eine Task Force auf Stufe Bund im Kanton Zürich tut. Nur: Sie braucht ein Gegengewicht. Das fehlt.

Nervt sie eigentlich die pseudowissenschaftliche Debatte in der Bevölkerung?

Schmid: Auf die Frage nach dem richtigen Vorgehen gibt es keine wissenschaftliche Antwort – am Ende ist es eine politische. Die WHO macht eine wissenschaftliche Einschätzung. Aber am Ende muss man die Entscheidung der Politik überlassen, und die Gesellschaft muss darauf antworten.

Widler: Mich stört, wie die ganze wissenschaftliche wie auch pseudowissenschaftliche Diskussion medial ausgetragen wird. Die Tageszeitungen heizen das Angstklima an – etwa mit Studien, welche die Gefährlichkeit des Virus belegen sollen. Der Zürcher Regierungsrat hat dem medialen Druck und den Forderungen immerhin gut widerstehen können. Aber heute kann man fast nicht mehr ohne Polemik diskutieren. Ich hätte mir auch gewünscht, dass die Regierung kommuniziert, dass man die Spitäler im Griff hat. Und dass das Ganze zwei Jahre dauern könnte, das hätte man auch früher kommunizieren sollen. Die Bürger müssen Gewissheit haben, dass die Regierung das Problem erkennt.

Finden Sie, dass man stärker die Szenarien hätte kommunizieren müssen, die etwa in Kraft treten, wenn die vorhandenen Intensivbetten voll sind? Wie dann ein Ausbau der Bettenzahl aussehen könnte? Oder für den denkbaren Fall, dass eine dritte und vierte Welle inklusive Lockdown droht?

Schmid: Nein, denn dann müsste man Schwellenwerte einführen wie Inzidenzen, um Lockerungen zu erlauben – und man müsste sich auch daran halten, sonst macht man sich unglaubwürdig.

Ihre Partei heisst neu «Die Mitte». Sehen Sie sich auch inmitten der Diskussionen über die Corona-Massnahmen als «beschwichtigende Stimmen» in der Mitte?

Widler: Coronapolitik ist nicht Parteipolitik! Die Positionen haben immer mit der persönlichen Betroffenheit zu tun. Und diese Positionen gelten zu lassen, hat mit Toleranz zu tun. So sollen alle, die das möchten, eben Masken anziehen. Andere sollten auf diese verzichten dürfen. Man sollte deshalb niemanden als unverantwortlich oder etwa als Angsthasen etikettieren.

Schmid: Es ist positiv, dass die Corona-Diskussion in der Schweiz keine parteipolitische Färbung hat und beispielsweise das Maske-Tragen wie in den USA ein politisches Statement ist. Ich stelle aber ganz andere Schnittstellen fest: Vor allem zwischen Stadt-Land und Westschweiz-Deutschschweiz. Aber auch ländliche Kantone wie Schwyz ergreifen nun ähnlich rigorose Massnahmen.

Interview: Mark Gasser