Kriselt das Sprachenlernen ohne (Geschäfts-)Reisen?

Gespeichert von mark.gasser am 22. September 2020 - 17:10

Mancher Sprachkurs wurde storniert – aber erlebte das Erlernen von Sprachen mit der Coronakrise wirklich einen Einbruch? Geschäftsführerin Edit Adrover von der Zürcher Sprachschule Flying Teachers mit über 250 Angestellten schweizweit gibt Auskunft. 

Von Mark Gasser

Wie mussten Sie nach dem Lockdown in Ihrer Sprachschule den Betrieb umstellen?

Edit Adrover: Der Markt ist total eingebrochen. Wir hatten Kurse mit mehreren 100 Personen gestartet im März – eine Woche später mussten wir unsere Schule von einem Tag auf den anderen schliessen. Zum Glück sind wir aber online gut aufgestellt: Wir konnten gleich über das erste Lockdown-Wochenende unsere Lehrpersonen auf Online-Unterricht umschulen oder aufdatieren, zudem haben wir neue Software-Lizenzen gelöst. So konnten wir die meisten Kurse online weiterführen. Weiterhin investieren wir viel in diese Online-Tools: Programme, Lehrerweiterbildung.

Wenn Sie von Lizenzen sprechen: Über welche Programme kommunizieren Sie denn online mit Ihren Schülerinnen und Schülern? Die üblichen die man kennt wie Zoom oder Skype?

Adrover: Programme für Internettelefonie wie Zoom oder andere Software werden von Firmen oft nicht akzeptiert wegen der Datensicherheit und entsprechenden Datenschutzbestimmungen. Daher ist es nicht immer sehr leicht, Online-Schulungen für Firmen anzubieten. Es dauert oft eine Weile, diesbezüglich Abklärungen durchzuführen. Das mussten wir auch in die Wege leiten.

Konnten Sie auf Kurzarbeit umstellen?

Adrover: Ja, für die Lehrpersonen und Administration konnten wir Gott sei Dank Kurzarbeit anmelden und mussten nicht viele Leute entlassen. Sie haben ja auch sehr viele Stunden verloren – allein dadurch, dass viele Firmen geschlossen wurden oder den Zutritt für Lehrpersonen nicht zugelassen haben. Ich finde es aber schade, dass Sprach- und Weiterbildungsschulen politisch nicht wahrgenommen werden.

Warum hätten Sie trotzdem mehr Unterstützung erwartet von der Politik?

Adrover: Man hat richtigerweise sehr viel fürs Gastgewerbe getan und für den Tourismus – auch wir sind aber wichtig. Ich habe jedoch noch nie etwas über Sprachschulen oder Weiterbildungsinstitutionen  gelesen. Mit über 70'000 Dozenten, darunter viele Freelancer, ist es ein grosser Markt. Auch wir waren direkt betroffen durch die Massnahmen. Am 13. März mussten wir 365 Schülerinnen und Schüler der öffentlichen Gruppenkurse nach Hause schicken. Auch bezüglich der Schulungen in Firmen waren wir direkt betroffen: Externe durften viele Firmen nicht betreten – und dass wir diese besuchen, ist ja unser Konzept. Aber viele Firmen verzichten auf Online-Schulungen, und obwohl der Bund nun die meisten Massnahmen aufgehoben hat, dürfen wir als Externe viele internationale Firmen nicht betreten.

Unter dem Namen «Flying Teachers» stellt man sich vor, dass der Fernunterricht schon fast institutionalisiert ist oder dass Ihre Lehrpersonen die ganze Welt bereisen.

Adrover: Online-Schulungen waren bislang noch nicht so gewünscht. Obwohl wir schon vor einigen Jahren ein Online-Kursangebot aufgebaut haben, ist den Kunden die persönliche Schulung wichtig. Wir können vermehrt auch auf einen Pool von Lehrpersonen zurückgreifen, die nicht in der Schweiz stationiert sind.

Es wurden zwischenzeitlich also nur online Schulungen angeboten. Wird mittlerweile wieder physisch unterrichtet?

Adrover: Genau. Denn 80 Prozent wünschen sich das persönliche Treffen mit den Lehrern, und rund 50 Prozent der Kunden können sich Online-Schulungen gar nicht vorstellen. Das überlassen wir unseren Kunden, ob sie auf online-Schulungen umstellen wollen. Viele gebuchte Kurse wurden aber aufgeschoben, da viele auf den Präsenzunterricht warten. Nur wenige Kurse wurden ganz storniert.

Wenn die Nachfrage ansteigt, erwarten Sie in einigen Monaten Engpässe?

Adrover: Ich glaube einen «Stau» wird es nicht geben, aber trotzdem sind die Verschiebungen sehr schlecht für unseren Umsatz: Für all die Kurse, die wir im Moment nicht durchführen können, haben wir keine Nachfolgekurse. Viele haben den Kursstart auf September bis November verlegt – und so fallen die Nachfolgeaufträge für 2020 weitestgehend weg.

Gibt es Sprachen wie Chinesisch und Russisch, die nicht mehr oder viel weniger nachgefragt werden?

Adrover: Die fünf grossen Sprachen sind nach wie vor gefragt: Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch und Italienisch. Wir unterrichten alle Sprachen, aber bei Finnisch oder Holländisch haben wir beispielsweise nur Einzelaufträge, das variierte immer stark. Ich sehe im Moment dort noch keine Verschiebungen. Dasselbe gilt für Chinesisch, das nur punktuell gebucht wurde. Für Russisch haben wir schon länger – seit der Finanzkrise 2008 – keine massgebenden grossen Aufträge mehr gehabt.

Das widerlegt die These, dass Chinesisch bald bis in die Primarschulen als Fremdsprache vordringen wird. Wird das in den nächsten Jahren so bleiben?

Adrover: Ja, denn die Sprache ist einfach zu schwierig, und die Chinesen lernen sehr schnell andere Sprachen. In China ist ja die Corporate Language meist Englisch.

Allgemein gesprochen: Wird der Einbruch bei der Reisetätigkeit und die Skepsis, andere Länder zu bereisen, Einfluss haben aufs Sprachen Lernen?

Adrover: Im Moment habe ich noch nicht das Gefühl, dass das Interesse geringer wurde. Alle hoffen ja, dass sie bald wieder überallhin reisen können.

Sie unterrichten ja für viele Business-Kunden Sprachen. Wie sieht da die Zwischenbilanz nach dem Lockdown aus?

Adrover: Im Moment ist die Unterrichtstätigkeit einfach allgemein zurückgegangen. Die Firmen investieren im Moment nicht so viel – auch nicht in Sprachkurse. Es hängt vor allem davon ab, wie es der jeweiligen Firma finanziell geht. Etwa in den Branchen Verarbeitung, Maschinen, Gastronomie, Marketing, Exsportindustrie: All die international vernetzten Firmen, die finanziell Mühe haben, investieren im Moment nicht in Sprachbildung. Aber wenn sich die Wirtschaft erholt, wird sich das auch erholen. Denn Kommunikation ist sehr wichtig – aber im Moment ist sie nicht Priorität.

Es gibt ja immer bessere Software, um Sprachen zu übersetzen. Werden solche Programme oder portable Übersetzungsgeräte bald eine ernsthafte Konkurrenz für Sie?

Adrover: Ich glaube schon. Aber die Entwicklung gibt es schon lange. Auch ich zum Beispiel benütze solche Programme, um italienische Briefe zu schreiben. Die These wird aber relativiert durch unseren Umsatz 2019, als wir Rekordzahlen bei den Buchungen verzeichneten – bis und mit Ende Februar 2020 vor dem Lockdown hin. Diesen Bedarf für Fremdsprachen bringt die Globalisierung.

Aber die Zunahme der Möglichkeiten durch künstliche Intelligenz ist schon frappant: Roboter können ja bereits Artikel schrieben und ersetzen Journalisten…

Adrover: Diese Befürchtung habe ich natürlich auch. Wenn ich jedoch mit meinen Kunden über die Zukunft unserer Schulen spreche, merke ich: Online-Schulungen werden nicht als gleichwertig akzeptiert. Die SchülerInnen finden die menschliche Komponente beim Sprachen erlernen sehr wichtig. Das höre ich immer wieder. So hoffe ich, dass wir langfristig nicht durch künstliche Intelligenz ersetzt werden, und dass der Mensch beim Lernen immer eine Rolle spielen wird.

Neuropsychologen haben ja eruiert, dass der Lerneffekt beim Lesen online geringer ist als analog.

Adrover: In unseren Online-Schulungen ist auch immer eine Lehrperson dabei. Wir bieten hybride Klassen an, wo sich online Schüler zu einem Präsenzunterricht zuschalten können. Oder wir haben reine Online-Webinare mit einer Lehrperson. Wie effizient Online-Schulungen sind, kann ich nicht abschliessend sagen. Aber viele Kunden schätzen diese Möglichkeit, weil sie standortunabhängig ist. Trotzdem erhalten wir die Rückmeldung, dass die Schüler den physischen Kontakt mit der Lehrperson vermissen.

Sind jene Schülerinnen die sich zuschalten, tendenziell eher solche aus den Risikogruppen, oder sind sie nur wegen der Anreise physisch nicht vor Ort?

Adrover: Es gibt verschiedene Gründe. Meist sind es solche, die standortunabhängigen Unterricht möchten. Und es gibt auch jüngere, die einfach Angst haben – das muss nicht heissen, dass die Person zur Risikogruppe gehört. Wir «Flying Teachers» sind ja die flexibelste Schule der Schweiz: Wir sind immer überallhin zu Kunden gereist, das gehört zu unserem Konzept. Das haben die Kunden schon früher geschätzt, da sie nie viel reisen mussten. Nun schätzen sie, dass sie sich vom Home Office, vom Büro oder sonstwo sich zuschalten können.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Corona nicht das Bedürfnis geschmälert hat, Sprachen zu lernen. Aber doch hat das Virus eine Verlagerung hervorgerufen. Wird die Nachfrage nach Online-Schulungen stabil bleiben oder sogar ansteigen?

Adrover: Ja, und ich finde es gut, dass es einen Schub gegeben hat – so flexibilisieren wir uns mehr. Klar, wir müssen pädagogisch noch daran arbeiten, um die Qualität hoch zu halten und auch die Kombi-Varianten verfeinern. Nun hoffen wir aber, dass wir ohne weiteren Lockdown unser Schulungskonzept umsetzen können und weiter gebucht werden. Aber wir haben keine Planungssicherheit und wissen nicht was die Zukunft bringt. Vielen Firmen geht es nicht gut, und das spüren wir sehr stark.

Aber eben: Die Absagen rühren eher von den Distanzregeln und der Situation der Firmen, und nicht von der reduzierten Reisetätigkeit?

Adrover: Nein gar nicht. Das sind einfach all diese Massnahmen und Unsicherheiten, welche die Firmen auch spüren. Einerseits hat uns Corona sehr belastet, aber eröffnet uns auch grossartige Chancen. Und diese sehen wir und möchten sie nutzen. Dafür müssen aber unsere Umsätze steigen, um in die neuen Unterrichtsformen investieren zu können. Die Modelle bestehen ja schon, aber diese gilt es auszubauen.