Hochprozentiger für Hände und Hygiene

Gespeichert von mark.gasser am 14. April 2020 - 15:25

Einige Zürcher Brennereien stellen während der Corona-Pandemie anstelle von Schnaps Desinfektionsmittel her. Ein Besuch bei Brennmeister Christian Zürcher aus Dinhard bei Winterthur zeigt: Alkohol hilft gegen das Virus – allerdings nicht, wenn er getrunken, sondern wenn er zu Ethanol umgebrannt wird.

Täglich gehen bei Christian Zürcher aus Dinhard neue Bestellungen für Hochprozentigen ein. Doch es ist nicht so, dass in diesem Frühling plötzlich alle durstiger wären. Den Schnapsbrenner erreichen derzeit vielen Anfragen nämlich nicht wegen Schnaps, sondern wegen einem raren Gut während der Corona-Pandemie: Er stellt seit einigen Wochen Desinfektionsmittel her. Denn das meist aus Cellulose hergestellte Ethanol, das derzeit fast jeder täglich – im Laden, zu Hause, im Büro – auf die Hände schmiert, ist rar geworden.

«Vielleicht lernen wir ja aus der Krise»

An diesem Morgen fährt ein Transporter vor, ein in Bauarbeiter-Orange gekleideter Fahrer steigt aus und entlädt zahlreiche leeren Kanister. Auch für den LKW-Fahrer, der normalerweise Zement transportiert und der unter anderem wegen stillstehenden japanischen Baggern seines Auftraggebers alternative Aufträge bewältigt, ist das ein Corona-bedingter Aushilfsjob. Schon tags darauf wird er mit den vollen Kanistern wieder die Apotheken versorgen. «Die Ersatzteile für die Bagger auf einer Baustelle, die mich beschäftigte, können nicht geliefert werden. Vielleicht lernen wir aus der Krise ja, wieder regional einzukaufen», meint der Mann zynisch.

Bei Schnaps, Wein und anderen alkoholischen Getränken steht zwar die Lokalproduktion nach wie vor hoch im Kurs. «Wir hatten aber 2019/2020 keine gute Saison», sagt Brennmeister Christian Zürcher, der 1982 in den Brennereibetrieb seines Vaters eingestiegen ist. Seit 1998 führt er den Betrieb selbstständig. Das Szenario ist nicht neu: Nach einem milden Winter zerstörte der Spätfrost etwa die Frühzwetschgen oder Aprikosen. Aber das bringt ihn nicht aus der Ruhe. Je nach Saison und Ernte brennt er Steinfrüchte wie Kirschen und Zwetschgen, aber auch Äpfel, Birnen oder Quitten. Bis zum vergangenen Jahr hat Zürcher noch eine Mosterei geführt. «Beides zusammen wurde zu viel. Nun konzentrieren wir uns aufs Schnaps brennen», so Zürcher. Im Durchschnitt produziert er rund 15'000 Liter pro Jahr, im eigenen Laden werden – mittlerweile auch online – 2000 bis 3000 Liter verkauft.

Doch statt in diesem mauen Jahr Trübsal zu blasen, beschloss er, die Brennhäfen für etwas anderes zu verwenden. «Die Corona-Krise kam überraschend, Ethanol war plötzlich gesucht, und da dachten meine Frau und ich: Wir sollten helfen.» Auch grosse Brennereien wie die Distillerie Willisau produzieren Desinfektionsmittel, am anderen Ende stellen kleinste Lohnbrennereien den Hochprozentigen gegen die Corona-Infektion her. Voraussetzung ist eine Bewilligung von der Zollverwaltung (früher: Der Alkoholverwaltung), um ihn «denaturieren» zu dürfen. Diese habe er schnell erhalten.

Nach WHO- und BAG-Vorgaben gebrannt

Bis Mitte April hat Zürcher mittlerweile schon 1300 Liter Desinfektionsmittel gebrannt – stets nach dem Rezept des Bundesamts für Gesundheit (BAG), das den Brennmeistern wegen der schweizweiten Notlage eine Ausnahmebewilligung erteilt. Grundsätzlich sind Brennereien nicht befugt, desinfizierende Mittel herzustellen. Genau genommen, muss er nach den Auflagen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) produzieren. So muss je ein Teil Wasserstoffperoxid, Glyzerin und destilliertes Wasser zugesetzt werden, um das Destillat hautverträglicher zu machen. Und um den Alkohol geruchlich und geschmacklich für den Genuss unbrauchbar zu machen, wird noch ein «Vergällungsmittel» (Methylethylketon) beigemischt.

«Aber die Rohstoffe sind ein Problem – die Nachfrage bleibt hoch», weiss Zürcher. Das wirkt sich auch auf den Rohstoff für Schnaps aus: Die Preise für den industriell hergestellten Ethanol ist gestiegen. «Aktuell können wir nichts mehr günstig einkaufen», sagt der Schnapsbrenner. Immerhin erlässt man angesichts der Krisensituation den Schnapsbrennern die 29 Rappen pro Volumenprozent und Liter an Alkoholsteuern fürs dringend benötigte Desinfektionsmittel – das würde ihn sonst allein gut 23 Franken pro Liter kosten. Und das ist auch gut so. Schliesslich macht kein Schnapsbrenner Desinfektionsmittel wegen des Profits.

Mango-Schnaps und Wein als Ausgangsmaterial

Eine erste Charge hat Zürcher mit einem bereits gelagerten Destillat, einem Fruchtschnaps aus getrocknetem Mango, hergestellt. Die Migros habe den Mango-Überschuss einigen Jägern gegeben, denen es wiederum zu viel war. Das Experiment, wie er es nennt, habe zwar einen Preis gewonnen, sich aber nicht verkauft. So opferte er es nun für einen guten Zweck: Er machte daraus die ersten Kanister Desinfektionsmittel – für Lebensmittelläden, Apotheken, Drogerien, Altersheime, aber auch Privatpersonen aus der Umgebung. «Ich dachte zuerst, das sei ein schnelllebiger Hype», sagt Zürcher.

Vergorenes Ausgangsmaterial ist schwer aufzutreiben. Aktuell brennt er das Ethanol aus Weinresten, die ihm seine Kunden bringen. «Wein ist das Beste für Schnaps – beim Wein hat man die doppelte Ausbeute im Vergleich zu Früchten und Obst. Oft ist er jedoch zu teuer aus Fruchtbränden Desinfektionsmittel herzustellen. Aber auch der aktuell verwendete Federweisse ist bald zu Ende. Und wird bald verkauft sein, «wenn die Krise noch andauert», meint Zürcher nachdenklich.

Instinktiv denkt man bei günstigem Wein an Italien. «Die brauchen ihren Wein jetzt aber selber.» In Italien ist Ethanol derzeit noch wertvoller als hierzulande. So ruft er auch Weinbesitzer dazu auf, ihren alten Wein nicht den Gulli hinunter zu schütten, bevor sie einen lokalen Schnapsbrenner wie ihn angefragt hätten.

Über 80 Prozent Alkohol 

Egal, welches Ausgangsmaterial er verwendet: Ab 70 Vol. % entfaltet der Alkohol seine desinfizierende Wirkung. In der sogenannten Verstärkerkolonne – mehrere übereinander liegende Glockenböden im Brennhafen – wird der Alkoholgehalt beim Aufsteigen von Stufe zu Stufe konzentrierter. Die Verdampfung des Ethanols tritt bei 78.2 Grad Celsius ein – daher ist dies die Minimaltemperatur für die Produktion. Der Alkoholgehalt des Gemisches kann nach dem Brennvorgang bis zu 85 Vol. % betragen. «Wir kriegen 83 Prozent Alkoholgehalt hin, wenn wir zweimal brennen vielleicht 85 oder 86 Prozent. Aber das Volumen würde dann stark reduziert werden», so Zürcher.» (M. G.)

Schnaps und Desinfektionsmittel bestellen unter: https://www.brennerei-zuercher.ch/