1. Können wir die Generalversammlung wegen der aktuellen Lage verschieben?

Ja, das ist auf jeden Fall möglich. Selbst wenn in den Statuten steht, die Versammlung müsse bis zu einem bestimmten Termin durchgeführt werden, ist es möglich, diese zu verschieben. In Anbetracht der Bedrohungslage können derartige, zeitliche Vorgaben ausser Kraft gesetzt werden bzw. unbeachtet bleiben.

Ausführliche Antwort von Prof. Dr. iur. Urs Scherrer:

Das ist möglich, auch wenn dadurch das Satzungsrecht verletzt wird (satzungswidriges Verhalten). Statuten, die zum Beispiel vorsehen, dass die ordentliche Vereinsversammlung im ersten Quartal des Kalenderjahres oder im ersten Halbjahr des Kalenderjahres abzuhalten sind, werden aufgrund von Vorschriften, die als Ordnungsvorschriften (im Gegensatz zu Gültigkeits-vorschriften) zu qualifizieren sind, einberufen. In Anbetracht der Bedrohungslage können derartige, zeitliche Vorgaben ausser Kraft gesetzt werden bzw. unbeachtet bleiben. Eine entsprechende Lage derogiert demnach das Satzungsrecht, das heisst, auch eine bereits gemäss Statuten einberufene Vereinsversammlung darf ohne Folgen abgesagt und/oder verschoben werden.

Gleich verhält es sich im Rahmen der Konstellation, dass in den Statuten mit Blick auf einzuberu-fende, ordentliche Vereinsversammlungen keine zeitlichen Vorgaben festgeschrieben sind, sich aber im Verein unter Umständen eine Usanz („Gewohnheitsrecht“) herausgebildet hat. In diesem Fall wird durch die Notlage (und da eine Einberufung einer Vereinsversammlung oder die Ver-schiebung einer bereits einberufenen Vereinsversammlung opportun ist) die Möglichkeit geschaf-fen, eine bereits einberufene Vereinsversammlung abzusagen, zu verschieben, oder eine noch nicht erfolgte Einberufung zu unterlassen.

In jedem Fall darf demnach eine aufgrund von Satzungen oder Gewohnheitsrecht einberufene Vereinsversammlung abgesagt und verschoben oder eine solche einstweilen nicht einberufen werden.»